"Wie viel Wahrheit erträgt, wie viel Wahrheit wagt ein Geist? das wurde für mich immer mehr der eigentliche Werthmesser."
(Friedrich Nietzsche, Ecce homo. Kap. 2)
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Im Frühjahr vergangenen Jahres erschien der von Jens Tasche und Dr. Reinhard Weber-Steinbach herausgegebene Sammelband "Bioenergetik als mentalisierende Körperpsychotherapie: Beiträge zum psychodynamischen Verständnis einer leibhaften Affektivität". Im Rahmen des Buchprojekts wurde auch ein Arbeitskreis Mentalisierende Körperpsychotherapie gegründet, dem u.a. auch ich angehöre. Ziel unserer Gruppe ist es, Brücken zwischen der Bioenergetik als klassischer Neo-Reichianischer Körperpsychotherapie und dem Mentalisierungskonzept von Peter Fonagy et.al. zu schlagen. Um dieses Vorhaben bekannter zu machen, wurde heute in der Praxis in der Rubensstr. 116 ein kleiner Imagefilm gedreht. Hier vorab schon einmal ein paar Bilder.
Mentalisieren als therapeutischer Fokus - ein neues Feld Der Mentalisierungsansatz ist ein spannendes neues Feld innerhalb der Psychoanalyse/Tiefenpsychologie, der in den letzten 25-30 Jahren entwickelt wurde. Mentalisieren bezeichnet die menschliche Fähigkeit, sich und andere als Wesen mit einer Psyche (mit Gefühlen, Gedanken, Motiven usw.) wahrnehmen und konzeptualisieren zu können. Oder anders ausgedrückt: Über eigene und fremde Gefühle, Bedürfnisse, Reaktionsweisen u.ä. nachdenken zu können. Auch wenn dies erstmal nicht nach besonders viel klingt oder mancher sich die Frage stellen könnte, was daran denn erwähnenswert sei, so ist die Fähigkeit zum Mentalisieren nicht angeboren und alles andere als selbstverständlich. Die Fähigkeit, über sich und andere als psychische Wesen nachdenken zu können, wird im Laufe der Kindheit in engen Bindungsbeziehungen erworben. Wenn die wichtigen Beziehungen des Kindes nicht "gut genug" (Donald Winnicott) sind, wird die Mentalisierungsfähigkeit jedoch nur mangelhaft bzw. in extremen Fällen überhaupt nicht erworben. Tatsächlich zeichnen sich alle psychischen Störungen durch eine mehr oder weniger beeinträchtigte Fähigkeit zum Mentalisieren aus. Körper und Mentalisieren In der Mentalisierungsforschung/von mentalisierungsorientiert arbeitenden Therapeuten wurde bisher wenig oder gar keine Kenntnis von der Bioenergetischen Analyse und anderen Körperpsychotherapien genommen. Umgekehrt wurde innerhalb der Bioenergetik und den anderen Körperpsychotherapien bis dato wenig oder keine Kenntnis von der mentalisierungsgestützten Psychotherapie genommen. Diese Lücke wird nun von dem von Jens Tasche und Reinhard Weber-Steinbach herausgegebenen Band "Bioenergetik als mentalisierende Körperpsychotherapie: Beiträge zum psychodynamischen Verständnis einer leibhaften Affektivität" (Vandenhoeck & Ruprecht 2018) geschlossen. Das Vorwort schrieb Prof. Ulrich Schultz-Venrath, einer der in Deutschland führenden Experten für mentalisierungsgestützte Therapie (MBT). In neun praxisnahen und thematisch breit gefächerten Beiträgen gehen die Autoren darauf ein, wie der Fokus auf Mentalisierung ihre Arbeit als Körperpsychotherapeuten bereichert hat. So erläutert etwa die Berliner Bioenergetikerin Alice Moll in ihrem Artikel auf sehr persönliche Weise, wie die traditionelle bioenergetische Lehre von den Charakterstrukturen und von Katharsis als Weg zur Heilung sie in ihrer Arbeit immer wieder an Grenzen führte, wo sie mit ihrem bioenergetischen Handwerkszeug nicht weiterkam. Dies führte sie in jahrelangem Selbststudium zur Arbeit mit Defiziten der psychischen Struktur und mit der Mentalisierungsfähigkeit ihrer Klienten. Wenn die Arbeit mit dem Körper nicht (genügend) greift Einer der großen Vorteile der Bioenergetik ist, dass sie über die Arbeit mit dem Körper teils heftige Gefühlslagen aktivieren kann, die z.T. bis in die vorsprachlichen Lebensphasen des Klienten gehen. Dies ist gerade für Klienten besonders ansprechend, die nur einen sehr eingeschränkten Zugang zu ihren Gefühlen haben und auf Gesprächstherapie daher nur begrenzt ansprechen. Traditionell dachte man in der Bioenergetik bis in die 1990er Jahre hinein, dass Katharsis (also die emotionale Entladung von Affekten) zur Anregung der körperlich-seelischen Selbstheilungs- und Selbstregulationskräfte führen würde. Dies würde in der Folge zu einer automatischen Wiederherstellung der psychischen Gesundheit führen, wenn die emotionalen und körperlichen Blockaden erst einmal genügend durchgearbeitet seien. Dies ließ jedoch die dynamischen Aspekte des Selbst als einer fließenden, immer wieder im Entstehen befindlichen Struktur, die im Kontakt mit dem Anderen und der Umwelt entsteht, außer Acht. In der Praxis tauchen zudem immer mehr Menschen auf, deren frühe psychische Entwicklung so defizitär verlaufen ist, dass sie nicht über ausreichende innere Verarbeitungsmuster verfügen, um unmittelbar emotional-kathartisch arbeiten zu können. Hier hat sich in der Praxis neben der Arbeit mit dem Mentalisieren die OPD mit ihren 5 Achsen (Krankheitserleben und Behandlungsvoraussetzungen, Beziehung, Konflikt, Struktur, Psychische und psychosomatische Störungen) als sehr hilfreich erwiesen. Der Mentalisierungsansatz bietet ein großartiges Werkzeug, um zunächst oder begleitend auf der Ebene von Struktur und Strukturdefiziten (wie zum Beispiel mangelnde Affektwahrnehmung, mangelde Affektsteuerung, Selbstwahrnehmung, Objektwahrnehmung) arbeiten zu können. Diese Arbeit ist oft notwendig, bevor in der Therapie mit den klassischen bioenergetischen Körperinterventionen gearbeitet werden kann oder um die in der Körperarbeit und im therapeutischen Prozess auftauchenden emotionalen Verarbeitungs- und Abwehrprozesse besser verstehen und integrieren zu können. Mentalisieren in der körperpsychotherapeutischen Ausbildung - die Zukunft? Nicht zuletzt, weil der Mentalisierungsansatz noch relativ neu ist, wird er in der Weiterbildung bioenergetisch arbeitender Therapeuten bis dato wenig oder gar nicht vermittelt. Dies ist schade, da eine ganze Reihe von Problemen, mit denen Klienten heute in die Praxis kommen, dadurch nicht ausreichend erfasst und behandelt werden können. In meinem (Steve Hofmann) Beitrag beschreibe ich zum einen, wie mentalisierungsgestütztes Arbeiten theoretisch konzeptionalisiert werden kann, und zum anderen, wie mentalisierungsgestütztes Arbeiten in der Lehranalyse im Laufe meiner therapeutischen Ausbildung meine eigenen emotionale Reifung unterstützt hat. Ein wichtiger Unterschied im Vergleich zu früheren Generationen bioenergetischer Therapeut*innen ist es, dass beim Arbeiten mit der Mentalisierungsfähigkeit besonderes Gewicht auf die therapeutische Beziehung und die gemeinsame Exploration der Psyche gelegt wird (2-Personen-Psychologie). Im Unterschied hierzu lag der klassischen Bioenergetik ein Arbeitsmodell zugrunde, in dem der Therapeut es auf Grund seiner Ausbildung "besser wusste" als der Klient. Dieser Ansatz, der den Klienten nicht ausreichend mitdenkt und ihn eher zum Objekt des Therapeuten machte, birgt jedoch die Gefahr, dass die ursprüngliche Traumatisierung durch die nicht ausreichend mentalisierenden Eltern wiederholt wird (Robert Lewis). Auch wenn es sicherlich noch ein langer Weg bis dahin ist, ist es nicht zuletzt im Interesse der Klienten zu wünschen, dass die Ausbildungscurricula der bioenergetischen Institute um die Arbeit mit strukturellen und Mentalisierungsdefiziten erweitert werden. Fazit "Bioenergetik als mentalisierende Körperpsychotherapie" gibt eine Vielzahl von Beispielen und Perspektiven, wie der Einbezug einer Mentalisierung mitdenkenden Behandlungsebene das Arbeiten für Körperpsychotherapeuten bereichern und erleichtern kann, und wie Klienten in ihren Therapieverläufen hiervon profitieren können. Die Publikation ist bis dato die weltweit einzige, die systematisch versucht, mentalisierungsgestützes und körperpsychotherapeutisches Arbeiten in Theorie und Praxis miteinander zu verknüpfen. Allein deswegen hier eine glatte Kaufempfehlung! Auch wenn der Band sehr unschuldig daher kommt und sein Titel zunächst einmal klobig und abschreckend erscheinen mag, besitzt er große Sprengkraft, da er die Entstehung einer neuen, integrativen Arbeitsweise beschreibt, die den Anschluss an moderne Formen der Behandlungstechnik nicht scheut. Ich denke, dass es keine Übertreibung ist zu sagen, dass "Bioenergetik als mentalisierende Körperpsychotherapie" eine der wichtigsten Neuerscheinungen in der Bioenergetik der letzten 10-20 Jahre ist. Es bleibt zu wünschen, dass das Werk eine Wende und ein Um-Denken innerhalb der Zunft einleitet! Titel: Bioenergetik als mentalisierende Körperpsychotherapie. Beiträge zu einem psychodynamischen Verständnis leibhafter Affektivität.
Herausgeber: Jens Tasche/Reinhard Weber-Steinbach Autoren: Barbara Antonowicz, Christiane Bading, Marion Baum, Martin Herberhold, Steve Hofmann, Carsten Holle, Alice Moll, Ulrich Schultz-Venrath, Jens Tasche, Reinhard Weber-Steinbach Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht (2018) Taschenbuch: 226 Seiten Preis: 30 EUR "Wir wissen, daß die Zerstörung einer Illusion noch keine Wahrheit ergibt, sondern nur ein Stück Unwissenheit mehr, eine Erweiterung unseres »leeren Raumes«, einen Zuwachs unserer »Öde«." (Friedrich Nietzsche)
Wir leben, lieben und fühlen mit dem Körper. Können Therapien, die den Körper ausklammern, da erfolgreich sein? Bioenergetik heilt die Seele durch den Körper.
Viele meiner Klienten haben zwar in früheren Therapien gelernt, ihre Probleme rational zu beleuchten und herzuleiten, dabei aber keine Veränderung auf einer tieferen, emotionalen Ebene erfahren. Eine tiefgreifende Transformation ist tatsächlich nur dann möglich, wenn neben der Arbeit an den eigenen unbewussten einschränkenden Haltungen und Beziehungsmustern auch der Körper und die Gefühle in den Wachstumsprozess einbezogen werden. Wilhelm Reich entdeckte in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts, dass der Körper eine entscheidende Rolle bei der Abwehr und Unterdrückung von Gefühlen spielt. Indem wir den Körper unbewusst anspannen und die Atmung verflachen, schützen wir uns vor schmerzhaften Empfindungen. Zugleich verschließt dies aber auch unser Herz und wir schneiden uns vom Fluss des Lebens ab. Reichs Schüler Alexander Lowen, der Vater der Bioenergetik, war überzeugt, dass eine Veränderung der Person nur durch ein Durcharbeiten der körperlichen Blockaden und die Bewusstmachung verdrängter frühkindlicher Gefühle möglich ist. Bindung, Bindung, BindungJedes Kind ist auf den Kontakt und die Bindung zu seinen Eltern angewiesen. Die Bindung zu ihren Bezugspersonen ist für kleine Kinder genauso wichtig wie Nahrung, Kleidung und die Luft zum Atmen. Nehmen die Eltern diese Bindungswünsche in angemessener Weise wahr und fördern das Kind entsprechend, ermöglichen sie ihm eine freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Versagen die Eltern bei dieser schwierigen und komplexen Aufgabe zu sehr, unternimmt es seinerseits ungeheure Anstrengungen, um doch noch eine Verbindung zu den Eltern herzustellen. Diese Anstrengungen können mit der Aufgabe der eigenen Gefühle, des Willens und letztlich auch des gesamten Selbst einhergehen. So kann man bei Kindern, die man schreien lässt, beobachten, dass sie schließlich scheinbar ruhig und angepasst werden. Indem sie also resignieren, stellen sie sicher, dass die Eltern sich weiter um sie kümmern. Später leiden sie dann eventuell an unerklärlichen Ängsten, da der körperliche Ausdruck der Gefühle zwar blockiert, die ursprüngliche emotionale Erregung im Körperkern aber noch voll vorhanden ist. Lowen erkannte bereits sehr früh, in welcher Form elterliches Versagen die Persönlichkeit des Kindes und des späteren Erwachsenen prägt, und entwickelte in Anlehnung an Reich eine eigene Charakterlehre. Er beschrieb fünf verschiedene Persönlichkeitstypen mit speziellen Eigenschaften, die im Zusammenhang mit dem elterlichen Versagen in den verschiedenen kindlichen Entwicklungsphasen entstehen. „Ich habe kein Recht zu existieren“ – die schizoide StrukturBei Menschen mit einer schizoiden Charakterstruktur geht es im Kern um das Recht auf Existenz. Schizoide machen schon im Mutterleib oder um die Geburt herum die Erfahrung, dass sie nicht gewollt sind. So erinnerte sich ein Klient von mir während einer Sitzung daran, wie er als Baby beinahe von seiner Mutter ertränkt worden wäre. Schizoide werden häufig von Müttern geboren, die ihr Kind unterschwellig oder offen ablehnen. Diese Menschen lernen die Welt früh als grauenerregenden Ort kennen und ziehen sich daher in sich selbst zurück. Tief im Inneren schämen sie sich, überhaupt zu existieren, und fühlen sich nirgendwo dazugehörig. Ihre unerträglichen frühen Erfahrungen führen oft dazu, dass sie sich von ihrem Gefühlsleben vollständig abgetrennt erleben. Dies kompensieren sie dadurch, dass sie versuchen, die Welt mit dem Kopf zu begreifen. Aufgrund ihrer hoch entwickelten intellektuellen Fähigkeiten ergreifen sie oft Berufe, in denen logisches Denken gefordert wird. Ein bekanntes Beispiel für einen Schizoiden ist Sheldon Cooper aus der Serie „The Big Bang Theory“. Ziel der Arbeit mit Menschen mit einem schizoiden Grundthema ist es, sie über die Körperarbeit aus dem Kopf in den Körper und ins Fühlen zu holen. Sie müssen dabei unterstützt werden, ihr Recht auf Existenz einzufordern. „Ich bekomme nicht genug“ – die orale StrukturWährend Menschen mit einer schizoiden Struktur den Kontakt zu anderen Menschen scheuen, lieben orale Menschen den Kontakt zu anderen. Dass sie gerne und viel reden, hat seinen Grund darin, dass ihren Bedürfnissen im ersten Lebensjahr nicht genügend Gehör geschenkt wurde. Dadurch, dass die Mütter dieser Personen sich nicht ausreichend auf ihre emotionalen Bedürfnisse einstellen konnten, bleiben sie mit einer großen inneren Leere zurück. Zentrales Thema oraler Menschen ist das Brauchen-Dürfen und Umsorgtwerden-Wollen: Wenn ich mich schwach und abhängig zeige, bekomme ich Zuwendung. Der grundlegende Mangel der frühen Kindheit war es, dass die Fürsorge der Eltern nie ausreichte, um die Bedürfnisse des kleinen Kindes zu stillen. Im Erwachsenenalter versuchen orale Personen, diesen Mangel nachträglich erfüllt zu bekommen. Das, was sie bekommen, ist für ihr hungriges inneres Kind allerdings nie genug. Der Wunsch, rückwirkend für die Entbehrungen der Kindheit entschädigt zu werden, lässt sich nicht einlösen und führt immer wieder zu Enttäuschungen. Therapeutisches Ziel in der Zusammenarbeit mit oralen Menschen ist es, ihnen zu helfen, ihre Angst vor dem Alleinsein zu bewältigen und sie auf ihre eigenen Beine zu stellen. „Ich genüge nicht“ – die masochistische Struktur Masochistische Menschen machen um das dritte Lebensjahr herum die Erfahrung, dass ihr Streben nach mehr Selbständigkeit abgelehnt wird. Sie werden untergebuttert statt bemuttert. Durch diesen harten Erziehungsstil wird das Kind überfordert und an seiner weiteren Entfaltung gehindert. Es reagiert mit Zorn und Wut auf die Einschränkungen, muss sich aber dennoch unterwerfen, um die Liebe der Eltern nicht zu gefährden. Das kleine Kind wird gebrochen. Die Lektion für’s Leben heißt: „Wenn ich mich unterwerfe und anpasse, werde ich geliebt.“ Das zentrale Problem dieser Struktur ist der Konflikt zwischen dem Streben nach Autonomie und dem Wunsch nach Geliebtwerden, da die Liebe der Eltern nur um den Preis der Selbstaufgabe zu haben war. Auch wenn Masochisten sich nach außen nett und liebenswürdig zeigen, brodelt es tief in ihrem Inneren. Ihre Wut zeigen sie aus Angst vor Bestrafung jedoch niemals offen. Vielmehr haben sie die tragische Tendenz, ihren Ärger dadurch zu äußern, dass sie regelmäßig versagen (Selbsthass) oder andere enttäuschen (Bestrafung anderer). Mit Hilfe von Übungen, die ihnen beim Ausdruck negativer Gefühle wie Ärger helfen, lernen masochistische Menschen im Laufe einer bioenergetischen Therapie, dass sie für sich einstehen dürfen und trotzdem geliebt werden. „Ich muss siegen“ – die psychopathische StrukturPsychopathen möchten gerne das Sagen haben und stark und erfolgreich sein. Sie sehen sich in einem beständigen Kampf gegen die Welt. Bevor andere sie klein machen und unterwerfen, wie in der Kindheit ihre Eltern, tun sie alles dafür, um sich in die Position des Stärkeren zu begeben. Während andere Menschen nach Liebe und Lust streben, streben Menschen mit dieser Struktur vor allem nach Macht. Solange sie die Stärkeren sind, fühlen sie sich sicher und nicht so klein, ohnmächtig und verraten wie in ihrer Kindheit. Dies zeigt sich oft im Körperbau: Der Oberkörper wirkt mächtig und aufgeblasen, wogegen die Beine klein und schmächtig sind. Ein prominentes Filmbeispiel ist etwa Sylvester Stallones Rambo. Die tiefste Angst von Menschen mit einem psychopathischen Thema ist es, besiegt, manipuliert und erniedrigt zu werden. Auf dem Weg zu ihrer Ganzheit müssen sie wieder in Kontakt zu ihrer weichen, verletzten Seite kommen. In der Therapie lernen sie, dass es Menschen gibt, denen sie vertrauen können. So kann das Streben nach Macht allmählich dem Wunsch nach Liebe und Verbundenheit weichen. „Komm mir nicht zu nah, ich habe Angst vor der Liebe“ – die rigide StrukturMenschen mit dieser Struktur lernen sehr früh, Leistungen erbringen zu müssen, um von ihren Eltern geliebt zu werden. Noch als Erwachsene streben sie nach Liebe und Anerkennung und setzen alles daran, um noch höher und weiter zu kommen. Die Tragik hinter diesen häufig sehr erfolgreichen Personen ist eine tiefe Verletzung ihres Herzens. Diese rührt daher, dass sie von ihren Eltern nicht für das eigene Sein, sondern für erfolgreiches Tun geliebt wurden. Die Angst, sich zu verlieben, ist sehr groß. Aus diesem Grunde sind sexuelles Begehren und Liebesgefühle voneinander getrennt: Wo sie begehren, lieben sie nicht, wo sie lieben, begehren sie nicht. Im Laufe der Therapie lernen Rigide, ihre Angst vor einer Zurückweisung ihrer Liebe zu ertragen. Hierdurch können Herzgefühle und sexuelle Empfindungen zusammenwachsen und Liebe und Begehren gleichzeitig empfunden werden. Bioenergetische Analyse – mit den Gefühlen leben lernen Seit Jahrtausenden wird körperliches und seelisches Leid als Ausdruck von Störungen oder Blockierungen des Lebensenergieflusses verstanden und mit unterschiedlichen Methoden behandelt. Die Bioenergetische Analyse steht in dieser Tradition und bindet Körper und Atmung in ein Verständnis vom Menschen als komplexe körperlich-seelische Einheit ein. Wir können unser volles Potential nur entfalten, wenn die unterdrückte Energie aktiviert wird und körperliche wie seelische Blockaden aufgelöst werden. Für die Aktivierung der blockierten Energie stellt die Bioenergetik eine Vielfalt an körperlichen Übungen bereit. Diese können den Menschen in einer Tiefe berühren, die durch rein verbale Therapien nicht erreicht wird. Schon Wilhelm Reich beobachtete bei seinen Klienten, dass diese sich durch die bei der Körperarbeit auftauchenden Gefühle wieder an die Situationen erinnern konnten, die in ihrer Kindheit dazu geführt hatten, dass sie ihr Herz verschließen mussten. Indem die Klienten in der Bioenergetischen Analyse dazu ermutigt werden, selbst ihre dunkelsten Gefühle und Gedanken auszudrücken, erlangen sie allmählich die Kontrolle über ihre Emotionen und ihr Leben. Denn zu leben heißt zu fühlen und mit statt gegen seine Gefühle zu leben. Die meisten Menschen leiden unter Anspannungen und Stress – oft seit Jahrzehnten. Die Spannungen wiederum verhindern, dass der Körper seine Selbstheilungsfähigkeit optimal einsetzen kann. Die Folge: Energielosigkeit, Erschöpfung, Krankheit – eine Spirale, die sich immer weiter nach unten schraubt. Der Amerikaner Dr. David Berceli hat mit seinen Tension Releasing Exercises (TRE) eine einfache und praktische Methode entwickelt, mit der sich Stress und Anspannung aus Körper, Geist und Seele schütteln lassen.
Einer, der sich mit Stress und starken Belastungen sehr gut auskennt, ist der amerikanische Stress- und Traumaexperte Dr. David Berceli. In seiner jahrelangen Arbeit mit Menschen, die teilweise extremem Stress ausgesetzt waren, hat er Tension Releasing Exercises (TRE) entwickelt. Es besteht aus einer Reihe von Übungen aus dem Yoga und anderen körperorientierten Methoden, die die Selbstheilungs- und Selbstregulationskräfte des Körpers aktivieren. Wie Berceli herausfand, reagieren wir sowohl bei leichtem als auch bei starkem Stress instinktiv mit einer Anspannung unserer Muskeln. Denn egal, ob wir vor einem Grizzlybären davonlaufen oder ihn angreifen wollen: In jedem Falle müssen wir unsere Muskeln aktivieren, um handeln zu können. Da wir in unserer zivilisierten, das heißt, natürliche Impulse hemmenden Welt nicht einfach drauflosschlagen oder davonlaufen können, müssen wir die aktivierte Energie häufig blockieren. Was übrig bleibt, sind (Ver-)Spannungen, die manchmal lebenslang im Körper verbleiben, wenn man nicht aktiv etwas für ihre Auflösung tut. Dr. Bercelis Übungen lösen stressbedingte körperliche Beschwerden auf, sind für jedermann leicht zu erlernen und machen zudem auch noch Spaß. Was ist Stress? Der Begriff Stress wurde erstmals von dem Arzt Dr. Hans Selye eingeführt. Dieser verstand unter Stress eine unspezifische Reaktion unseres Körpers auf eine bestimmte Anforderung oder Überbelastung. Sobald wir einer Anforderung gegenüberstehen, entsteht Stress. Dieser kann von leichter, milder, starker bis hin zu überwältigender Intensität sein. Stress ist seit Urzeiten ein Teil unserer alltäglichen Erfahrungen. Die gute Nachricht ist, dass wir von der Natur dafür ausgestattet sind, Stress zu erleben, zu durchleben und zu überwinden. Früher waren Stressauslöser oft lebensbedrohlich: Es gab Hungersnöte, Naturkatastrophen, man wurde von einem Raubtier oder einem feindlichen Stamm angegriffen. Das war einmal. Das Dumme ist nur, dass unser Körper bei Erregung immer noch so reagiert, als wenn er von einer Horde wilder Löwen verfolgt würde: Wenn wir von unserem Chef für eine Präsentation kritisiert werden, brechen wir in Schweiß aus, der Besuch unserer fordernden Schwiegereltern verursacht uns Herzrasen und das Warten auf den Jahressteuerbescheid bereitet uns Kopfschmerzen. Obwohl keine reale Lebensgefahr besteht, bereitet sich der Körper auf Angriff oder Flucht vor. Heilsames Zittern Berceli machte auf der ganzen Welt zwei Beobachtungen: Als Reaktion auf Stress spannen wir instinktiv unsere Muskeln an. Und unabhängig von Alter, Geschlecht oder kulturellem Hintergrund besitzt der menschliche Körper einen natürlichen Lösungsmechanismus für Stress. Berceli nennt ihn „neurogenes Zittern“: „’Neuro’ deshalb, weil diese Reaktion Teil unseres autonomen Nervensystems ist, und ‚gen’ = erzeugend – also „im Nervensystem erzeugt“. Denn hätte der menschliche Körper keine angeborenen Stressbewältigungsmechanismen, wären wir als Art ja schon vor langer Zeit ausgestorben. Wir wurden von der Natur dazu entworfen, Stress und Anstrengungen zu überwinden. Mit TRE lösen wir durch eine Reihe von Körperübungen ein Zittern der tiefen Muskulatur aus. Dieses Zittern ist unwillkürlich und zugleich der Steuerung des Anwenders unterstellt. Durch dieses Zittern wird die in den Muskeln festgehaltene Stressladung allmählich losgelassen und der Körper kehrt in seinen natürlichen, entspannten Zustand wieder zurück.“ Wenn durch Stress aktivierte Energie nicht ausgedrückt werden kann, wird sie häufig unterdrückt und als Verspannung vom Körper gespeichert. Diese Spannungen gehen teilweise so tief, dass sie zum Beispiel mit Massage gar nicht gelockert werden können. Zwar kann eine vorübergehende Besserung der Symptome erreicht werden, die Ursache bleibt jedoch erhalten. Indem TRE die Muskeln zum Zittern anregt, werden auch extrem tiefsitzende Verspannungen und Blockaden aufgelöst. Verspannungen, die teilweise schon so alt sind, dass wir uns ihrer gar nicht bewusst sind. Das durch TRE ausgelöste Zittern wirkt also wie eine Massage von innen und kann nicht nur körperliche, sondern auch seelische Spannungen lösen. Denn obwohl der Körper in der Lage ist, sich selbst zu heilen, ist das nicht nur eine Frage von richtiger Ernährung, Nahrungsergänzungsmitteln, Sport oder Ruhe. Der Körper muss sich aus seinem Kern heraus erneuern. Die Erfahrung einer Anwenderin Katrin E. (Name geändert) wurde vor acht Monaten nach 15 Jahren Ehe von ihrem Mann verlassen. Es hatte selbstverständlich immer auch mal schwierige Zeiten gegeben, dennoch war sie hart getroffen, als sie herausfand, dass ihr Mann sie mit einer jüngeren Frau betrog. Die ersten Monate waren sehr hart und starke Gefühle von Ärger und Bitterkeit machten ihr zu schaffen. Der Trennungsschmerz setzte ihr schwer zu und sie wurde launisch und aufbrausend, auch den beiden gemeinsamen Töchtern gegenüber. Sie wusste, dass es so nicht weitergehen konnte und dass sie nach einem Weg suchen musste, um mit dem Stress und dem Schmerz anders umzugehen. Darum entschied sie sich, TRE einmal auszuprobieren: „Nachdem mein TRE-Practitioner mich durch die Übungen geführt hatte, fühlte ich ein leichtes Zittern in den Beinen, das sich allmählich im ganzen Körper ausbreitete. Plötzlich fühlte ich Wellen von Traurigkeit durch meinen Körper fließen und ich begann zu schluchzen und zu weinen. Der Practitioner versicherte mir, dass dies O.K. sei und dass der Körper dabei sei, etwas loszulassen.“ Nach den ersten vier Sitzungen verteilt über zwei Wochen hatte sie ein erstes Durchbruchserlebnis: Als ihr Mann vorbeikam, um die gemeinsamen Kinder übers Wochenende zu sich zu holen, fühlte sie sich innerlich erstmals wieder ruhig und gelassen. „Es war, als ob plötzlich ein großer Teil des emotionalen Drucks weg sei, und ich konnte zum ersten Mal wieder in seiner Nähe sein, ohne eine Szene machen zu müssen.“ Je öfter sie die Übungen machte, desto weniger störten sie Dinge, die sie früher zum Aufbrausen gebracht hätten. „Nicht, dass auf einmal alles einfach gewesen wäre. Inzwischen kann ich aber dank TRE ganz anders mit meinem Stress, meinem Ärger und meiner Traurigkeit umgehen.“ Mittlerweile können sie und ihr Ex-Partner wieder entspannt miteinander reden, ohne dass der Stress und die Gefühle der Vergangenheit dabei hochkochen. Zittern – ein kulturelles Tabu Die allermeisten Anwender berichten über keinerlei emotionale Reaktionen auf die Übungen, sondern schildern das Zittern enthusiastisch als äußerst angenehm und entspannend. Doch warum zittern nicht einfach alle Menschen, wenn dies so heilsam und wohltuend ist? „Besonders in unserem Kulturkreis wird Zittern als etwas Schlechtes gedeutet, als ein Zeichen von Schwäche. Wenn ich bei einem Business-Meeting eine Präsentation halte und vor Nervosität zittere, beeinflusst das die Art und Weise, wie ich gesehen werde, negativ. Tatsächlich wird uns dieser natürliche Zitterreflex von Kindheit an abtrainiert“, sagt Dr. Berceli. In unserer vom Verstand regierten Welt sind unwillkürliche Lebensäußerungen des Körpers nicht gern gesehen oder werden sogar als krankhaft verurteilt und unterbunden. So berichten Menschen nach Verkehrsunfällen häufig, dass sie am ganzen Leib zitterten und vor Ort von den Rettungshelfern mit Medikamenten ruhiggestellt wurden. Hiermit wird jedoch die natürliche Selbstregulation des Organismus unterbrochen. Statt den Stress des auslösenden Ereignisses abzuschütteln, verbleibt die überschüssige Ladung im Körper. Oft ein Leben lang. Freie Pulsation des OrganismusDenn wenn die stressbedingte energetische Ladung nicht restlos abgebaut werden kann, verbleibt der älteste Teil unseres Gehirns, der Hirnstamm, im Alarmzustand. Von dem durch die TRE-Übungen ausgelösten Zittern bekommt das Stammhirn die Botschaft, dass der Körper wieder sicher ist und die Grundspannung wieder normalisiert werden kann. „TRE verursacht das Zittern nicht, es ist nur ein einfacher und von jedermann erlernbarer Weg, dieses Zittern auszulösen. Wenn man die Übungen einmal gelernt hat, kann man sie sein Leben lang alleine zu Hause ausführen. Andere Leute hingegen bevorzugen es in Begleitung oder in der Gruppe zu zittern, das ist von Person zu Person sehr unterschiedlich.“ Ein ungestörter menschlicher Organismus befindet sich in einem beständigen Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung, Expansion und Kontraktion, er atmet ein und atmet aus. Wo immer er wesentliche Einschränkungen erfährt, sei es durch seelischen oder körperlichen Stress, wird er in seiner freien Pulsation unterbrochen: Es kommt zu Verspannungen und somit zu Blockaden. Es ist das Ziel eines jeden Körpers, wieder zu seiner völligen Lebendigkeit und ursprünglichen Pulsationsfähigkeit zurückzugelangen. TRE ist ein angenehmer Weg, diese Blockaden abzubauen und mehr Freude, Gelassenheit und Leichtigkeit in sein Leben zu lassen. |
Steve Hofmann
ist Körperpsychotherapeut (HP Psych) und Coach in Berlin Archiv
April 2024
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